Warum es den Yoga-Effekt nicht gibt
„Entspannt uns Yoga und gibt es Studien, die das belegen?“ fragte mich letztens eine liebe Yoga-Schülerin vor der Stunde. Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Auf jeden Fall war die Zeit vor Klassenbeginn zu knapp, um zu antworten. Die einfachste Reaktion wäre wohl ein „Ja natürlich!“, gewesen. Aber wenn wir genauer hinsehen, bemerken wir, dass es nicht ganz so einfach ist. Denn alle, die schon bei mehr als einer Yoga-Lehrerin waren, wissen, wie unterschiedlich Yoga sein kann. Mittlerweile haben sich aus der alten Tradition unzählige Yoga-Stile mit verschiedenen Schwerpunkten entwickelt. Manche Yoga-Richtungen sind sanft und meditativ (z.B. Yin Yoga), andere kraftvoll (z.B. Vinyasa Flow/Ashtanga Yoga). Und dann gibt es noch Yoga-Stile wie Bikram Yoga, bei denen gezielte Veränderungen der Umgebung, wie das Aufheizen des Raumes auf 37°C, zum Einsatz kommen.
Yoga ist also nicht gleich Yoga. Die Yoga-Praxis besteht aus den Elementen Asana (Körperpositionen), Pranayama (Atemtechnik) und Meditation, jedoch sind die Schwerpunkte je nach Yoga-Stil sehr unterschiedlich gesetzt. Wir können davon ausgehen, dass unterschiedliche Yoga-Richtungen auch unterschiedliche Effekte haben. Irgendwie logisch, dass auf den Händen zu balancieren oder durch das fünfzigste Vinyasa zu fließen etwas anderes bewirkt, als ruhig in Meditation zu sitzen oder in einer entspannten, restorativen Yoga-Position zu liegen. Welcher Yoga-Stil untersucht wird, ist von Studie zu Studie unterschiedlich. Das macht es schwierig einheitliche Aussagen zu treffen und erklärt, die oft sehr diversen Ergebnisse der einzelnen Studien. Vom Yoga-Effekt oder den Wirkungen von Yoga im allgemeinen Sinn zu sprechen, macht deshalb oft wenig Sinn.
Wie die unterschiedlichen Yoga-Stile im Körper wirken, wurde leider noch nicht untersucht. Was wir aus wissenschaftlicher Sicht allerdings mit Sicherheit sagen können ist, dass verschiedene Bewegungsintensitäten unterschiedlich auf unser gesamtes System wirken. Wenn man an dieser Stelle an die Frage zurückdenkt, ob Yoga uns nachweislich entspannter macht, betrachtet man am besten das Stress-Reaktions-System des Körpers. Die Bildung von Cortisol ist eine der ersten Reaktionen im Körper auf Stress. In weiterer Folge aktiviert Cortisol Funktionen im Körper, die es uns ermöglichen, schnell genug in einer bedrohlichen Situation zu reagieren (zum Beispiel, wenn mal wieder im Dschungel ein Tiger vor uns steht) und ist somit lebensnotwendig. Chronisch erhöhtes Cortisol, verursacht durch chronischen Stress, hat jedoch negative Auswirkungen auf unseren Körper und trägt zur Entstehung vieler sogenannter nichtübertragbarer Krankheiten bei (NCDs= noncommunicable diseases), wie zum Beispiel Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes oder Neuropsychiatrische Erkrankungen.
Wir wissen, dass Bewegung das Cortisol-Level im Körper direkt beeinflussen kann. Bewegung mit niedriger Intensität (geringe Anstrengung) reduziert Cortisol, während hoch intensive Bewegung zu einem Anstieg führt. Mit voreiligen Schlüssen ist hier allerdings Vorsicht geboten. Ein akuter Cortisol-Anstieg ist im Gegensatz zu chronisch erhöhten Levels nichts Schlechtes und kann sich sogar positiv auswirken. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass verschiedene Bewegungsformen unterschiedliche Wirkungen haben.
Dieser Unterschied in der Form der Bewegung wird im Yoga als Yin- und Yang-Qualität beschrieben. Yin-Yoga ist sanftes, meditatives Yoga und soll den Geist zur Ruhe bringen, Verspannungen lösen und besonders auf Faszien wirken. Im Gegensatz dazu steht Yoga mit Yang-Eigenschaften, wie etwa Vinyasa Flow oder Ashtanga Yoga, das unsere Muskeln fordert und uns in die Aktivität bringt.
Vielleicht wird die Wissenschaft in der Zukunft die Effekte von unterschiedlichen Yoga-Stilen auf den Körper exakt beschreiben können. Das würde ermöglichen, dass wir die Yoga-Praxis noch gezielter einsetzen, etwas wovon auch die Yoga-Therapie, also der Einsatz von Yoga als Behandlungsmethode bei diversen Erkrankungen, profitieren würde.
Dass wir hier aus wissenschaftlicher Sicht noch ziemlich im Dunkeln tappen, enthält allerdings eine wunderbare Möglichkeit für uns. Dadurch bleibt uns nämlich gar nichts anderes übrig, als zu lernen, auf den eigenen Körper zu hören und die Signale die er sendet, wahrzunehmen. Wir können versuchen, für uns selbst intelligenter Yoga zu praktizieren. Dabei müssten wir in uns hineinspüren und unsere eigenen, aber auch die Gegebenheiten der Umwelt wahrnehmen. Vielleicht bemerken wir dann, dass wir uns von Tag zu Tag unterschiedlich fühlen, dass uns am Morgen etwas anderes guttut als am Abend oder welchen Einfluss Jahreszeiten und Temperatur auf uns haben. Vielleicht achten wir auch auf unsere eigenen Bedürfnisse und darauf, was wir uns von der Yoga-Praxis wünschen.
Mit etwas Erfahrung lernte ich zum Beispiel für mich selbst, dass mich am Morgen eine dynamische Yoga-Praxis in die Gänge bringt, während ich nach einer ähnlich fordernden Klasse spät am Abend oft nicht einschlafen kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass solche Beobachtungen allgemein gültig sind, denn oft sind sie von Person zu Person individuell.
Mein Vorschlag ist deshalb, wenn du wissen willst ob Yoga dich entspannt, glücklich, ausgeglichen oder fit macht, lerne achtsam zu werden. Lerne auf deinen Körper zu hören und zu beobachten, wie du dich vor und nach deiner Praxis fühlst. Lerne das zu tun, was dir in diesem Moment guttut und wegzulassen, was sich nicht richtig anfühlt. Sich diese Fähigkeiten anzueignen hat übrigens noch einen weiteren Vorteil. Denn wenn wir lernen achtsam zu werden und auf unsere Bedürfnisse zu hören, profitieren wir davon nicht nur auf der Yoga-Matte, sondern in allen Lebenslagen.