Wie Yoga gegen Stress schützt
Obwohl Stress ein wesentlicher Risikofaktor für die Entstehung vieler gesundheitlicher Bedrohungen ist, ist er in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Herz-Kreislauf-Krankheiten, hormonelle Dysfunktionen und psychiatrische Erkrankungen sind nur einige der möglichen Folgen von chronischem Stress. Yoga und andere Entspannungstechniken helfen, Stress und seinen negativen Auswirkungen vorzubeugen, das wurde mittlerweile auch wissenschaftlich vielfach gezeigt. Hat man schon mal eine Yoga-Klasse besucht, ist einem wahrscheinlich auch das angenehme, entspannte Gefühl während und nach der Yoga-Praxis bekannt. Aber wie genau schützt uns Yoga vor Stress? Welche psychologischen und physiologischen Mechanismen stehen hinter dem angenehmen Gefühl, das uns eine Yoga-Einheit verschaffen kann?
Die Stressreaktion
Sind wir einer Situation ausgesetzt, die Stress auslöst, reagiert unser Körper sofort: Plötzlich werden Puls und Atmung schneller, die Schweißdrüsen arbeiten auf Hochtouren, die Durchblutung unserer Extremitäten steigt an und die Gedanken rasen. Wir sprechen hier von der akuten Stressreaktion des Körpers. Diese wird durch unser Stresssystem ausgelöst, das aus den folgenden drei Komponenten besteht: dem willkürlichen Nervensystem, dem autonomen Nervensystem und dem neuroendokrinen System.
Diese drei Komponenten wurden von der Natur optimal aufeinander abgestimmt, sodass sie uns in Stresssituationen bestmöglich helfen können. Ursprünglich diente das Stresssystem dem Überleben. War der Mensch vor tausenden Jahren zum Beispiel einem Löwenangriff in der Wildnis ausgesetzt, wurde das Stresssystem sofort aktiviert und setzte ihn in einen Alarmzustand.
Der große Schwachpunkt unseres Stresssystems
Bei Situationen, die heutzutage Stress auslösen, geht es allerdings in den meisten Fällen nicht mehr ums Überleben, sondern um den nervigen Kollegen in der Arbeit, die Frau, die zu laut im Zug telefoniert, oder um den nächsten Abgabetermin. Und das ist die große Schwäche unseres Stresssystems. Es kann nämlich nicht unterscheiden, ob eine Situation lebensbedrohlich ist oder nicht, und bleibt auch bei nicht lebensbedrohlichen Situationen aktiv. Dabei ist es per se nicht problematisch, hin und wieder in eine stressige Situation zu geraten, solange danach auch wieder Ruhe einsetzt und sich der Körper von dem Alarmzustand erholen kann. Ist das System allerdings chronisch aktiviert, gerät der Körper aus dem Gleichgewicht. Denn die dauerhafte Aktivierung der Stressreaktion ist von Natur aus nicht vorgesehen und trägt somit erheblich zur Entstehung vieler Krankheiten bei.
Was uns stresst
Nicht nur äußere Geschehnisse verursachen Stress, sondern auch als wie bedrohlich wir diese einschätzen. Stress beginnt oft in unserer Psyche, also nicht ausschließlich durch die äußeren Umstände, sondern auch dadurch, wie wir diese wahrnehmen. So wurde gezeigt, dass Situationen, die psychischen Stress hervorrufen, vier wichtige Merkmale aufweisen:
1) Man fühlt sich einer Situation ausgeliefert
2) Psychischer Stress entsteht durch plötzliche Ereignisse, die oft schwer vorhersehbar sind
3) Psychischer Stress wird schlimmer, wenn er kein Ventil findet
4) Psychischer Stress wird durch das Gefühl ausgelöst, dass die Dinge zunehmend schlechter werden
Wie Yoga gegen Stress schützt?
Yoga schützt gegen Stress und wirkt als ganzheitlicher Ansatz auf Geist und Körper in zwei möglichen Verläufen (s. Bild 1).
Neurokognitive- (Geist-zu-Körper)-Verbindung
Wie oben beschrieben, beeinflusst unsere Wahrnehmung die körperliche Stressreaktion. Nimmt man eine Situation als weniger belastend, dafür mit mehr Gelassenheit wahr, wird auch die körperliche Stressreaktion weniger intensiv ausfallen.
Beim Yoga liegt der Schwerpunkt auf der Achtsamkeit und dem bewussten Umgang mit Gedanken und Gefühlen. Dabei lernt man, Denkmuster zu beobachten und von ihnen Abstand zu gewinnen. So kommt es durch die regelmäßige Yoga-Praxis dazu, dass man sich in einer stressigen Situation weniger ausgeliefert fühlt und dieser mit mehr Gelassenheit begegnen kann.
Neurophysiologische- (Körper-zu-Geist)-Verbindung
Bewegung hilft gegen Stress und dient als Stressventil. Beim Yoga geht es unter anderem darum, durch Bewegung gezielt den Körper zu entspannen und Verspannungen zu lösen, die durch Stress entstehen. Sind möglichst viele Bereiche im Körper entspannt, sendet dieser Zustand das Signal an unsere Wahrnehmung, dass alles in Ordnung ist. Ein prominentes Beispiel dafür, wie unser Körper den Geist beeinflusst, ist der Bleistift, den man sich zwischen die Zähne klemmt, um so ein Lächeln zu simulieren. Schon nach kurzer Zeit überträgt sich das Lächeln, selbst wenn es rein mechanisch ist, auf unseren Geist und die Stimmung erhellt sich. Beim Yoga gilt dasselbe Prinzip, entspannt sich der Körper, wird dies an den Geist signalisiert, und das Stressempfinden sinkt.
Körper und Geist sind untrennbar miteinander verbunden. Das haben die alten Yogis schon vor vielen Jahrhunderten erkannt und auch aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keine getrennten Entitäten von Körper und Geist. Yoga ist eine ganzheitliche Praxis, die aus einer einzigartigen Kombination von Bewegung, Atmung, Entspannung, Meditation und positiven Werten besteht und sieht - ähnlich wie die moderne Wissenschaft - keine Trennung der einzelnen Bereiche. Die jahrhundertealte Praxis ist damit verblüffend modern und trifft den aktuellen Wissensstand auf den Punkt. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Yoga in den letzten Jahren auch in unseren Breitengraden so beliebt geworden ist. Denn hinter dem angenehmen, entspannten Gefühl nach einer Yoga-Klasse, steckt eine wirksame und vielschichtige Praxis, die Wirkung hat.
Dieser Artikel wurde für die Fachzeitschrift Biomed Austria verfasst.